Im Dialog

Spracherwerb durch Handauflegen?


Ein Gespräch von Stefan Hug und Seino Tomoaki
über die Frage, ob in Japan alles anders ist als anderswo, und wenn ja, warum


Thomas: Sag mal, Hiroyuki, läuft hier eigentlich alles in Zeitlupe ab?

Hiroyuki: Was meinst du damit?

Thomas: Eben hat ein Student zwei Minuten gebraucht, bis er mir auf die langsam und deutlich vorgetragene Frage "Was wollen Sie heute noch kaufen?" mit "Ich will Buch kaufen." geantwortet hat. Die erste Minute hat er nur geschwiegen und mich entsetzt angestarrt. Dann hat er dreißig Sekunden mit seinem Nachbarn konferiert, und danach hat es bestimmt weitere dreißig Sekunden gedauert, bis er mit dem Satz rausrückte. Dabei weiß ich ganz genau, dass er die Wörter kennt, bei den Vokabeltests ist er immer einer der besten.

Hiroyuki: Thomas, was willst du jetzt kaufen? Ja, was du jetzt kaufen willst.

(Pause.Thomas sieht Hiroyuki fragend an.)

Hiroyuki: Nein, ich bin weder verrückt geworden, noch wollte mich über dich lustig machen. Ich wollte dir noch einmal zeigen, was die Verletzung der Konvensationsmaximen von Grice zur Folge hat, besonders die Verletzung der Maxime der Relevanz: "To be relevant" oder "Sag nur Relevantes!". Dem Studenten war wohl nicht klar, warum du ihm so eine Frage gestellt hast. Er lernt Deutsch und unterhält sich mit dir nicht über Einkäufe. Außerdem wollte er heute wahrscheinlich nichts kaufen. In der ersten Minute überlegte er sich wohl, ob er die Frage richtig verstanden hat und warum du so eine Frage gestellt hast. Vielleicht wollte er sich weigern, so ein dummes Spiel mitzuspielen. Da es sich aber um eine grammatische Übung handeln musste, dachte er wohl, dass er irgendetwas Fiktives antworten sollte. So hat er mit seinem Nachbarn konferiert, um festzustellen, dass du nicht plötzlich den Verstand verloren hast und er irgend etwas sagen muss, obwohl er nichts kaufen wollte. Außerdem denken die Japaner, die Frage: "Was wollen Sie heute noch kaufen?" präsupponiert, dass der Befragte dem Fragenden gesagt hat, dass er heute schon etwas gekauft hat. Dass diese Präsupposition im Deutschen keine Gültigkeit hat, ist mir auch neu.

Thomas: Natürlich gilt sie im Deutschen auch.

Hiroyuki: Also ich hätte die Frage so gestellt: Ich fange an: "Gehen Sie heute zum Supermarkt oder zum Convenience Store?", und wenn der Student mit "Ja" antwortet, dann frage ich, was er kaufen will. Wenn er "Nein" sagt, frage ich, "Wollen Sie wirklich nichts kaufen?" Dann antwortet er höchstwahrscheinlich wieder mit "Ja". Dann kann ich ihm erklären, dass man auf deutsch hier "Nein" sagen muss. So kannst du Modalverben und "Ja/Nein" gleichzeitig üben lassen. Na, was sagst du?

Thomas: Da wartest Du aber mit schwerem Geschütz auf. Grice, hm? Der hat sein Kooperationsprinzip, innerhalb dessen die Konversationsmaximen gelten, natürlich für authentische Gespräche aufgestellt, nicht für simulierte. Aber nehmen wir mal an, es gelte für simulierte Gespräche - oder eigentlich Gesprächsfetzen mit übergeordnetem Übungscharakter: Verletzt der Student dann nicht die Griceschen Maximen der Quantität und besonders der Modalität, wenn er sich zuerst zu weigern scheint, einen informativen Gesprächsbeitrag zu leisten, und dann in einer Weitschweifigkeit schweigt, die einen an die Ewigkeit erinnert? Weißt Du, wie lange zwei Minuten sich dehnen können? Weißt Du, was in der Zeit mit dem Rest der Klasse passiert?

Hiroyuki: (Grinsend) Ja, das kann sich schon ganz schön dehnen.

Thomas: Die Frage der Präsuppositionen hängt damit zusammen: Wir führen eben keinen authentischen Dialog. Die Präsuppositionen werden größtenteils vom Lehrbuch mitgeliefert. Dort sagt A zu B: "Was willst du heute noch kaufen?" und B antwortet: "Ich brauche noch Milch und Brot." Wir üben gerade Modalverben, wie Dir ja nicht entgangen ist. Was, bitte sehr, gibt es da noch zu rätseln, wenn ich mich, Blickkontakt herstellend, an besagten Studenten wende und frage: "Und Sie, was wollen Sie heute noch kaufen?" Nein, da läuft etwas ab, das ich nicht verstehe. Das ist mir noch nie so gegangen, und ich habe schon in ein paar Ländern unterrichtet.

Hiroyuki: Tja, dann tut es mir Leid, dass Du deine Lehrmethode nicht so effektiv anwenden kannst, wie Du es gern tun würdest. Ich kann Dir auf den ersten Blick überzeugend wirkende Erklärungen nennen, die von deinen deutschen Kollegen immer wieder genannt werden: Die japanischen Studenten wollen im Klassenzimmer nicht auffallen. Auch wenn sie die richtige Antwort wissen, heben sie die Hand nicht. Sie sagen nur dann etwas, wenn sie sich wirklich sicher fühlen. Sie haben Angst vorm Fehlermachen. So ungefähr, nicht? Diese Erklärungen sind zwar nicht falsch, aber ich habe immer das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt.

Thomas: Aber etwas dran ist schon. Ich glaube, dass es in Japan bei allem, was mit Können zu tun hat, einen kulturbedingten Hang zur Perfektion gibt. Schau Dir nur mal die traditionellen Künste an: Bis zum völligen Erstarren werden die zur Norm geronnenen Handlungen oder Artefakte des Sensei kopiert.

Hiroyuki: Diesen Zug an der japanischen Kultur kann man sicher nicht leugnen, aber das ist noch lange nicht die ganze Geschichte.

Thomas: Sicher nicht, aber dieser Hang zum Perfektionismus ist beim Spracherwerb nicht gerade förderlich. Sprechen lernt man eben nur, indem man spricht, so wie man Fahrrad fahren nur beim Fahren lernt, und dabei unterlaufen einem eben Fehler. Aber was für Ursachen siehst Du noch?

Hiroyuki: Na denk mal, müssen die Studenten eigentlich auf deine Fragen antworten? Warte, guck mich nicht so an. Ich bin nicht verrückt geworden. Ich denke nur, es gibt nicht nur die Redefreiheit, sondern auch eine Schweigefreiheit. Eine Freiheit zum Schweigen oder Freiheit des Schweigenden.

Thomas: Wozu denn das?

Hiroyuki: Es gibt viele Gründe zum Schweigen: Vielleicht hat der Student deine Frage nicht verstanden und keinen Mut gehabt, dich zurückzufragen. Er hat vielleicht deine Frage indiskret gefunden, denn was er kaufen will, geht dich ja nichts an. Aber der Grund, den ich eigentlich für am wahrscheinlichsten halte, ist der, dass er einfach schweigen wollte. Er möchte Deutsch sprechen, ohne dabei sprechen zu müssen.

Thomas: Hm, das stellt einen aber vor ein ganz schönes Problem: Er will Deutsch sprechen lernen, ohne dabei zu sprechen? Wozu will er dann Deutsch sprechen lernen?

Hiroyuki: Vielleicht will er das gar nicht.

Thomas: Wenn er das gar nicht erst wollte, könnte ich seine Reaktion ja verstehen, aber die Studenten sagen in den Umfragen, die wir machen, doch immer, dass sie ?kommunikativen" Unterricht wollen ... was immer das im Einzelnen auch heißen mag. Die Möglichkeit, dass er sich nicht traut nachzufragen, besteht natürlich, dann muss ich meinen Unterricht irgendwie so gestalten, dass er dazu keinen Mut braucht. Was ich übrigens sowieso nicht glaube. Und wenn er meine Frage indiskret findet, weil er vielleicht ein Päckchen Kondome kaufen will, dann braucht er das doch nicht zu sagen, würde er: ?Eine Dose happooshuu, drei onigiri und ein Päckchen Chips." sagen, würde ich ihm doch um den Hals fallen und vor Glück weinen!

Hiroyuki: Ja, da hast du allerdings Recht. Aber das ist fast unvorstellbar, nicht?

Thomas: Du sagst: Er will Deutsch sprechen lernen, ohne dabei zu sprechen, etwa durch die bloße Anwesenheit eines Muttersprachlers. Das fällt mir immer wieder auf: Es scheint hier Leute zu geben, die glauben, dass sie durch die bloße physische Nähe zu einem Muttersprachler Sprachkenntnisse erwerben können, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen, so als würde beim Sprechen – und beim Schweigen, nehme ich an – irgendwie ein Sprachgeist übertragen. Ich nenne das "Zweitsprachenerwerb durch Handauflegen". Aber Spaß beiseite: Ich meine, da wird er sich darauf einstellen müssen, dass bei den Schweigebemühungen am Ende nicht sehr viel herauskommt.

Hiroyuki: Woher weißt du denn, dass er das genau so sieht wie du? Vielleicht ist für ihn das "Bisschen", das er in deinen Augen gelernt hat, schon ein enormer Fortschritt.

Thomas: Das kann natürlich sein. Aber warum will er eigentlich schweigen und nicht viel lieber reden? Warum verweigert er sich dem Austausch?

Hiroyuki: Mir ergeht es manchmal genau so. Während ihr Deutschen heftig über etwas diskutiert, was mir gar nicht so wichtig erscheint, und darauf viel Zeit verwendet, hoffe ich oft, die Zeit ginge schnell vorbei, und denke an was anderes. Und wenn einer plötzlich nach meiner Meinung fragt, bin ich einfach verlegen. Na ja, ich habe viel über eure Meinungen über Japaner gehört, deshalb bemühe ich mich, auch unaufgefordert etwas zu sagen. Aber hab bitte Verständnis, das mache ich nur euch zuliebe.

Thomas: Ja, da sind wir bei einem wichtigen Punkt. Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede zwischen dem, was man für "beredenswert"hält. Das fällt mir oft in Cafes und Restaurants hier auf, wenn Paare oder Familien sich anschweigen. Du merkst die Wertung schon im Wort ?anschweigen". Habt Ihr dafür eigentlich ein Wort im Japanischen, mit der entsprechenden negativen Konnotation?

Hiroyuki: Nein, da fällt mir erst mal nichts ein. Es gibt den Ausdruck "hanashiga hazumanai", aber der wird ausschließlich für Situationen verwendet, in denen man sich zwar bemüht, ein unterhaltsames Gespräch zu führen, das aber nicht gelingt. Wenn Paare oder Familien sich "anschweigen", sehen wir das eher als ein Zeichen für ein glückliches Zusammensein, weil man sich auch ohne sprachliche Kommunikation gut versteht.

Thomas: Bei uns würde das von vielen als Ausdruck dafür gesehen, dass sie sich nichts mehr zu sagen und somit ein Problem haben. Aber ein japanischer Freund meinte mal zu mir: "Weißt Du, worüber Ihr alles reden müsst ... das meiste davon finden wir unwichtig." Nur ist die Unterrichtssituation eben doch eine andere. Es geht darin ? zumindest auf dieser Stufe ? nur vordergründig um ein Thema, das man wichtig finden könnte oder nicht.

Hiroyuki: Da könnte ein weiteres Problem liegen.

Thomas: Sicher, nur hier ließe sich der Spieß ja umdrehen: Wenn der Student das, was wir machen, nicht für "beredenswert" hält und deshalb schweigt, na dann reden wir eben über etwas, das er für wichtig hält. Da wirst du aber Bauklötze staunen. Wenn man nämlich fragt, worüber die Studenten reden wollen, nennen sie oft die gleichen Situationen, die man in jedem Lehrbuch findet. Mein Verdacht: Sie haben keine Ahnung, worüber sie eigentlich reden wollen. Sie wollen vielleicht Deutsch reden können, aber eigentlich haben sie nichts zu sagen.

Hiroyuki: Die Studenten schreiben zwar in der Umfrage, dass sie am Ende des Semesters gern in der Lage wären, Deutsch sprechen zu können. Ja, aber pass mal auf. Du sagst, dass sie sagen, sie wollen Deutsch sprechen lernen. Das stimmt nicht. Ich bin als Japaner ziemlich sicher, dass sie schreiben: "Doitsugo ga syabereru yo-ni naritai." Nicht?

Thomas: Stimmt, das liest man häufiger. Neben anderen merkwürdig anmutenden Formulierungen mit "mini tsukeru".

Hiroyuki: Ich glaube, ich habe Dir einmal erzählt, dass die japanische Sprache dazu tendiert, einen Sachverhalt eher als natürlichen Prozess darzustellen, während die deutsche Sprache (und wahrscheinlich alle europäischen Sprachen) in den meisten Fällen ein explizites Agens in einem transitiven Satz hat, das die Handlung ausübt. Wenn man sich zum Beispiel dafür entschuldigt, dass man nicht mehr zu einer Party gehen kann, sagt man auf Japanisch, "Sumimasen, ikenaku narimashita." Also "Entschuldigen Sie mich bitte, mir ist es unmöglich geworden, zur Party zu gehen." Ich möchte Dir eigentlich sehr viel darüber erzählen, aber ich beschränke mich heute auf den relevanten Forschungsgegenstand, nämlich unsere lieben Studiosi.

Thomas: Bitte ...

Hiroyuki: In dem Moment, in dem sie ihre Wünsche geschrieben haben, dachten sie wohl, sie eignen sich die Sprechfähigkeiten irgendwie in einem natürlichen Prozess an. Sie meinen wohl, sie brauchen nur eine bestimmte Zeit lang im Klassenzimmer zu hocken und wie beim Fernsehen zuzusehen, wie ihr Lieblingsschauspieler etwas für sie tut. Dann soll ein Wunder geschehen. Was sie vom Lehrer verlangen, ist die Kunst der Magie.

Thomas: Sag ich doch: Spracherwerb durch Handauflegen.

Hiroyuki: Der Lehrer soll ein Meister der Magie sein und ihnen ermöglichen, Deutsch zu sprechen, ohne sie viel anzustrengen. Dieses Verhalten der Studenten ärgert mich auch und ich sage ihnen am ersten Tag des Unterrichts immer, dass sie mitmachen müssen. Wer sich nicht dazu bereit erklärt, soll meinen Kurs nicht belegen. Das bringt zwar nicht so viel, ist aber immerhin besser, als gar nichts zu sagen.

Thomas: Na, dann teilen wir wenigstens die Frustrationen ... Übrigens scheint mir, dass das nicht nur uns so geht. Wenn Du nämlich mal außerhalb des Unterrichts, in einem privateren Rahmen, mit den Studenten über ihre Englischkenntnisse und ihr Verhältnis zum Englischlernen sprichst, dann wird zumindest manchmal deutlich, dass sie ziemlich unzufrieden sind über den Englischunterricht an den Schulen.

Hiroyuki: Und frustriert ...

Thomas: Ist ja auch kein Wunder: Nach 800 bis 1000 Unterrichtsstunden in sechs Jahren sind manche nicht einmal in der Lage, einfache Unterhaltungen auf der A2-Stufe des Referenzrahmens zu führen.

Hiroyuki: Und wessen Schuld ist das? Ihre?

Thomas: Nein, natürlich nicht. Nach sechs Jahren Englischunterricht in Klassen mit 40 und mehr Schülern und Lehrern, die meistens Japanisch sprechen und sich häufig ebenfalls nicht auf Englisch unterhalten können, haben sie Lerngewohnheiten angenommen, die zu diesem schulischen Umfeld passen. Und sind leider meistens auch zu der Überzeugung gekommen, dass Fremdsprachen sowieso nicht erlernbar sind.

Hiroyuki: Wichtig ist also, den Studenten klar zu machen, dass man Sprechen nur durch sprechen lernt. Deshalb benutze ich in meinem Unterricht auch nur Deutsch.

Thomas: Wirklich? Meinst du, dass das unter den gegebenen Bedingungen – große Klassen, wenige Stunden pro Woche – die effektivste Methode des Unterrichtens ist?

Hiroyuki: Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob das die beste Methode ist, die ein japanischer Lehrer anwenden kann. Viele Kollegen halten das Sprechen im Klassenzimmer für die Aufgabe der Muttersprachler. Natürlich mache auch ich beim Sprechen Fehler und ich kann nicht das leisten, was die Muttersprachler leisten können. Aber ich glaube, ich habe in bestimmter Hinsicht bessere Karten als Muttersprachler. Ich kann mir nämlich genau vorstellen, wie es in den Köpfen der Studenten gerade zugeht, weil ich einst als Student Deutsch gelernt habe, und zwar ziemlich mühselig.

Thomas: Kaum zu glauben.

Hiroyuki: Ich denke, ihr Deutschen geht im Unterricht sehr oft von der falschen Annahme aus, dass die Studenten euch irgendwie verstehen. Aber eure Erklärungen der Grammatik sind normalerweise viel schwieriger als der Lernstoff selbst. Ich habe vor einem halben Jahr bei einer deutschen Lehrerin hospitiert, als sie Anfängern das Passiv erklärte. Sie sagte: "Im Passiv wird das Objekt des ursprünglichen aktiven Satzes zum Subjekt gehoben und der Handlungsträger mit einer Präpositionalphrase mit "von" ausgedrückt oder auch weggelassen. Habt ihr das verstanden?" Pfui, wer diese Erklärung richtig versteht, der hat schon längst das Passivlernen hinter sich! Die metasprachliche Erklärung darf nicht schwieriger zu verstehen sein als der Lernstoff selbst. Ich weiß, das wird gerade muttersprachlichen Lehrern schwer fallen, aber ihr solltet auch versuchen, "kundenfreundlich" zu sein.

Thomas: Und wie machst du das?

Hiroyuki: Ich benutze in meinen Erklärung nur schon erlernte Konstruktionen. Bevor die Studenten den Nebensatz gelernt haben, spreche ich nur mit Hauptsätzen. Ich kann auch Deutsch sprechen, ohne unregelmäßige Verben zu benutzen. Ja, das kann ich nur, weil ich Ausländer bin. Ich kann zum Beispiel nicht Japanisch sprechen, wenn ich nur godan-doushi – das sind fünfstufige Verben, die bei der Konjugation ihren letzten Vokal ändern – benutzen darf. Aber ihr solltet euch bemühen, die Diskrepanz zwischen Metasprache und Lernstoff möglichst zu reduzieren.

Thomas: Da sprichst du ein wahres Wort gelassen aus. Ich habe das meta-grammatische Wissen der Studenten bzgl. des Japanischen und des Englischen in Umfragen untersucht, auf Japanisch natürlich. Ein Satz wie der der Kollegin ist für die überwiegende Mehrzahl der Studenten vollkommen unverständlich. Die meisten können – auf dieser meta-grammatischen Ebene, wohlgemerkt – direkte nicht von indirekten Objekten unterscheiden. Sie haben Schwierigkeiten mit Begriffen wie "Adverb" bzw. "adverbielle Bestimmung" und "Attribut". Wie das nach sechs Jahren angeblich "grammatikorientierten" Englischunterrichts an den Schulen der Fall sein kann, ist mir ein Rätsel, aber es ist so, keine Frage.

Hiroyuki: Ich habe gehört, dass Lehrer an Mittel- und Oberschulen grammatische Fachausdrücke am liebsten vermeiden, weil Unterricht, der sich darauf stützt, unter den Schülern als langweilig gilt.

Thomas: Ich habe daraus die gegenteilige Konsequenz gezogen wie du, aber das kann mit unseren unterschiedlichen Lehrbedingungen zu tun haben. Ich habe riesige ichinensei-Klassen mit bis zu 54 Studenten, die ich zweimal die Woche unterrichte, und das ist ihr ganzer Deutsch-Unterricht. Grammatische Erklärungen gebe ich grundsätzlich auf Japanisch, wobei ich nichts voraussetze, nicht einmal einen Begriff wie "Struktur", sondern alles erkläre, und zwar so einfach wie möglich. Das kostet Zeit, die dann beim Sprechen abgeht, aber wenigstens können sie danach die Grammatikerklärungen in den Büchern verstehen und alleine weiter lernen. Stichwort: autonomes Lernen.

Hiroyuki: Wozu aber noch viel mehr gehört als nur die Fähigkeit, sich grammatische Phänomene selbst zu erklären.

Thomas: Ja, und an all diese Fähigkeiten müssen die Studenten erst herangeführt werden.

Hiroyuki: Was noch mehr Zeit kostet ...

Thomas: ... und nicht einfach ist ...

Hiroyuki: (Grinsend) ... aber wer hat gesagt, dass es einfach werden würde?

Thomas: Niemand.

Hiroyuki: Genau.